(Radio Mittendrin Opole)
Anna Ronin: Seit Jahren pendeln Sie zwischen Deutschland und Polen. Sind Sie schon ein Betweener?
Steffen Möller: Ja. Ich habe eine Wohnung in Warschau und eine in Berlin und fahre immer hin und her, meistens mit dem Eurocity: Berlin-Warszawa Express. Da sitzen viele Andere, die auch Betweener sind, und deswegen sage ich immer, dass meine eigentliche Heimat dieser Zug ist. Denn die Leute, die da sitzen, verstehen beide Mentalitäten. Wenn man in Deutschland über Polen redet, hat man es oft mit Desinteresse zu tun, und in Polen ebenso. Wie viele Taxifahrer in Warschau haben mir schon gesagt: Woran erkennt man, dass man in Deutschland ist? Daran, dass die Kühe schöner sind als die Frauen. Dann sag ich immer: Kommen Sie doch einfach mal nach Berlin. Gucken Sie sich um -, da gibt’s auch schöne Frauen! Die Antwort lautet postwendend: Eee!… pewnie Turczynki, sagt der Taxifahrer.
AR: Sie haben in Polen Polnisch gelernt. Kann man sagen, dass Sie heute zweisprachig sind?
SM: Ja, ich kann inzwischen ganz gut Polnisch, aber nicht akzentfrei. Da gibt es Leute, die wirklich zweisprachig sind, die hin und her springen können, und man hört keinen Akzent, das kann ich leider nicht, so begabt bin ich nicht. Vielleicht habe ich zu spät angefangen. Ich habe mit 24 angefangen, Polnisch zu lernen.
Polnisch war magisch
AR: Und wie war der Anfang?
SM: Schwierig, 1993 hab ich einen Kurs in Krakau gemacht, da habe ich ein Kindergedicht gelernt: Samochwała w kącie stała i wciąż tak opowiadała…das habe ich auswendig gelernt, ohne die Hälfte zu verstehen. Aber der Klang der Sprache hat mir irgendwie gefallen, und dieses Erlebnis hatte ich weder in Englisch noch in Französisch. Polnisch war irgendwie magisch.
AR: Es gibt Menschen in Polen und in Deutschland, die zweisprachig aufwachsen, würden Sie auch Anderen dazu raten, ihre Kinder zweisprachig zu erziehen?
SM: Das ist auf jeden Fall ein Vorteil, zweisprachig aufzuwachsen und auch seine Kinder zweisprachig zu erziehen. Untersuchungen haben gezeigt, dass bilinguale Kinder so mit 5 oder 6 Jahren leichte Probleme haben, weil sie die Sprachen verwechseln und mit dem Sprachenlernen etwas länger brauchen als einsprachige Kinder. Später, in der Pubertät, kommen dann noch psychologische Probleme hinzu. Die Jugendlichen wissen nicht genau, welche Identität habe ich? Aber nach der Pubertät beginnen eindeutig die Vorteile. Bilinguale Kinder haben z.B. mehr Humor, weil Humor ja nichts anderes als Distanz ist. Dadurch ist man, glaube ich, souveräner, man hat eine dickere Haut, man sieht die Dinge gelassener.
Hamulec bezpieczenstwa- der erste Kontakt mit Polnisch
AR: Was hat Ihnen die größten Schwierigkeiten beim Polnischlernen bereitet?
SM: Das fing schon im Zug nach Krakau an. Meine beiden ersten polnischen Worte waren hamulec bezpieczeństwa. Das stand im Zugabteil über der Tür, und das habe ich 9 Stunden lang entziffert. Wie soll man zum Beispiel das „c“ von hamulec aussprechen? Ein Mitpassagier sagte mir die Lösung: „C“ spricht man im Polnischen wie „z“ aus. Anders ist es bei bezpieczeństwa. Da kommt gleich am Anfang ein „z“, aber „z“ spricht man komischerweise nicht wie ein deutsches „z“ aus, sondern wie ein „s“, also „c“ wie „z“ und „z“ wie „s“ – na super! Und über dem „n“ war so ein komisches Strichlein, ich dachte zuerst: Apostroph! Oder Druckfehler! Doch nein, das war ein Weichheitszeichen. Und deswegen sagt man „bezpieczeństwa“ statt „bezpieczenstwa“. Bis man diesen Unterschied hört, braucht man sieben Jahre.
W szczebrzeszynie chrząszcz brzmi w trzcinie
AR: Sie lernten in Polen Polnisch und fingen an, Bücher zu schreiben. Es sind bislang insgesamt 3 Bücher geworden. Können Sie uns was von Ihren Büchern erzählen?
SM: Mein erstes Buch hat den Titel Polska da się lubić, und das habe ich in Deutschland in einer erweiterten Version herausgebracht: Viva Polonia – als deutscher Gastarbeiter in Polen. Da beschreibe ich, wie ich hierher verschlagen wurde. Meine erste Begegnung mit Polen fand ja auf einem Campingplatz in Florenz statt, wo ich eine Gruppe von Krakauer Studenten getroffen habe. Sie ließen mich gnadenlos W Szczebrzeszynie chrząszcz brzmi w trzcinie üben und haben sich über mich kaputtgelacht.
Mein zweites Buch kam zuerst auf Deutsch raus: Vita Classica, und ein Jahr später auch auf Polnisch: Moja klasyczna paranoja. Da geht es um ein anderes Hobby von mir: klassische Musik. Ich beschreibe meine schwere Jugend als einziger Klassikfan auf dem Schulhof in Wuppertal. Wenn meine Klassenkameraden am Samstag Abend in die Bhagwan-Disco nach Düsseldorf gefahren sind, saß ich im Sympfoniekonzert der Wuppertaler Philharmoniker und war der einziger Mensch unter 60. Mit den Frauen gab es natürlich auch Probleme…
Mein drittes Buch erscheint im Mai 2012, zuerst wieder auf Deutsch, hoffentlich dann auch auf Polnisch, das ist noch nicht klar, Expedition zu den Polen. Diesmal spiele ich den Reiseführer. Ich nehme die Leser mit auf eine Zugreise von Berlin nach Warschau. Unterwegs treffen wir interessante Gäste und einen masochistischen Schaffner. In Poznań steigt plötzlich eine schöne blonde Frau ein, und der ganze Zug gerät in Aufrägung. Ich erzähle auch von den Städten, wie z.B. von Świebodzin, wo der zweitgrößte Christus der Welt steht. Ich berichte auch von der Krise der polnischen Kirche oder über polnische Weihnachtsbräuche. Vor allem aber beschreibe ich vielleicht einen der wichtigsten Mentalitätsunterschiede zwischen Deutschen und Polen, nämlich die emotionale Intelligenz. Das ist schwer zu erklären. Also z.B. hier in dieser Hotellounge, wo wir jetzt sitzen, habe ich sofort das Gefühl, dass ich in Polen bin, weil ich merke, dass die Menschen, die um mich herum sind, mich wahrnehmen. Das ist typisch Polen. In Deutschland könnten Sie hier sitzen, und kein Mensch nähme Sie wahr. Das ist für mich die Ausgangsbeobachtung, und daraus ergeben sich tausend Konsequenzen – die ich aber leider jetzt nicht verrate, weil ja alle das Buch kaufen sollen ….lacht
Botschafter zwischen Deutschland und Polen
AR: Sie haben Bücher über Polen geschrieben, die von den Deutschen gelesen werden. Sie wurden mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Dadurch wurden Sie zum Botschafter, zum Menschen der deutsch-polnischen Beziehungen…
SM: Ja, sicher. Das bin ich irgendwie geworden, aber eigentlich bin ich Privatmann, ich gehöre zu keiner Institution. Ich habe irgendwann mal studiert und danach habe ich nur noch alleine gearbeitet. Wenn man in einem anderen Land Ausländer ist, wird man ja, ob man es will oder nicht, zum Botschafter. Ich glaube, das geht nicht nur mir so, sondern jedem Deutschen, auch nicht nur in Polen, sondern in jedem anderen Land. Man wird automatisch identifiziert mit der Heimat, z.B. als ich ein Jahr lang als Deutschlehrer an einer Schule in Warschau gearbeitet habe. Da haben mich die Schüler ganz genau beobachtet, wie zieht er sich an? Ich hatte damals immer Kordhosen an, und deswegen haben sie gedacht, dass die Deutschen alle Kordhosen tragen usw. Und das eigene Verhalten wird auch immer mit den Klischees verglichen, die es über mein Land gibt. Es gibt angeblich nur zwei Länder in Europa, über die es keine Klischees gibt, das eine ist Belgien und das andere Bulgarien.
Durch Bigos über Polen lernen
AR: Meinen Sie, Sie können über Ihre Bücher das Verhältnis der Deutschen zu den Polen ändern, ist das möglich?
SM: Ja, das ist schon möglich. Als ich mein erstes Buch herausgebracht habe (in Deutschland, 2008) Viva Polonia! waren wir alle überrascht, wie groß das Interesse war. Es wurden über 200 000 Bücher verkauft! Womit hat das zu tun? Ich persönlich dachte, dass die Deutschen sich nicht für Polen interessieren, dass ich der Einzige bin, aber das stimmt nicht! Ich habe inzwischen Tausende von Mails bekommen. Es gibt sehr viele Deutsche, die Interesse an Polen haben. Es gibt z.B unzählige deutsche Ehemänner mit polnischen Ehefrauen. Das ist ein riesiger Markt, diese Menschen, meistens sind es Männer ( 90%), kommen zwei mal nach Polen zur Schwiegemutter. Sitzen dann an Ostern und an Weihnachten drei Tage lang in der Küche, fest geschmiedet am Tisch, und müssen Bigos essen.
AR: Können Sie den Deutschen, die zum ersten mal nach Polen kommen, ein paar Tipps geben? Was würden Sie selbst nicht mehr machen?
SM: In erster Linie sollte man sich Witze über Diebstahl verkneifen. Das verärgert die Polen genauso wie wir Deutschen von Nazi-Witzen genervt werden. Dann gibt es in Polen auch viel Aberglauben. Wenn man jemandem die Hand gibt, sollte man darauf achten, dass man es nicht über die Türschwelle tut– das bringt Unglück, warum? Weil unter der Türschwelle früher die Gebeine der Ahnen begraben waren. Der Handkuss ist heute nicht mehr nötig, viele Deutsche glauben – Polen ist das Land des Handkusses, das ist vorbei, glaube ich. Was in Polen sicher anders ist, ist das, dass die Deutschen viel direkter sind. Das wird in Polen als unhöflich empfunden. Ein polnischer Bekannter von mir hat gesagt: bevor du Kritik übst, solltest du erstmal zehn Notlügen anwenden. Ich glaube, da ist viel dran. Und das gilt nicht nur in Polen, sondern auch in Russland, in China, in Österreich. Die Deutschen sind in vieler Hinsicht untypisch. Ja, ich glaube inzwischen, dass Polen in vieler Hinsicht „normaler“ ist als Deutschland. Die meisten Länder, die ich kennengelernt habe, sind eher so ähnlich wie Polen, aber nur wenige Länder sind so wie Deutschland.
In Deutschland polonisiert
AR: Untypisch für Deutschland ist zum Beispiel das, dass man in Polen, wenn man den Hörer abnimmt: słucham sagt.
SM: Richtig! In Deutschland stellt man sich mit seinem Namen vor. In England sagt man hello, in Italien pronto in Polen: ich höre. Einige Freunde von mir stören sich daran, dass auch ich heute am Telefon in Deutschland immer „słucham“ sage und nennen mich schon „Herr Słucham“. Ja, ich habe mich heute polonisiert. Wenn ich Aufzug fahre, achte ich darauf, dass ich nicht mehr als Erster vor den Damen aus dem Aufzug gehe – es sind so kleine Höflichkeitsregeln. In meinem neuen Buch gibt es ein relativ hartes Kapitel über den Egoismus der Deutschen, ich glaube, dass das unser Hauptproblem ist, vielleicht nicht nur bei den Deutschen, sondern auch bei anderen westlichen Nationen. Wir denken zuerst an uns selbst, klassisches Beispiel: ein Mann und eine Frau sitzen auf der Terasse – eine Polin und ein Deutscher, und die Polin sagt: oh, mir ist kalt. Und der Deutsche sagt: ah.. mir nicht! Und nimmt seinen Mantel und verpackt sich, und die Polin ist wüttend, dass er ihr nicht den Mantel gibt, tja….
AR: Das Gleiche gilt für Geburtstagswünsche oder für den Abschied. Die Polen sagen dann immer Cześć, bis Morgen, machs gut, bleib gesund, grüß deine Eltern usw. Also es dauert, bis sie wirklich gehen.
SM: Abschied in Polen: zwei Stunden im Wohnzimmer, zwei Stunden im Flur. Ja, man ist in Polen herzlicher, aber hier gibt es auch Nachteile. Wenn Sie sich z.B Schulen oder Universitäten angucken oder auch hier im Hotel, die Hierarchie ist immer sehr stark, also „panie dyrektorze“, „panie kierowniku“. In Deutschland ist es, glaube ich, in dieser Hinsicht etwas einfacher, z.B. können Schüler ihren Lehrer auch mal kritisieren, in Polen ist das ganz schwierig.
A.R.: Viel Erfolg für Ihr neues Buch und vielen Dank für das ausführliche Gespräch