team.dfb.de: Herr Möller, Sie haben gestern in Frankfurt auf dem Flughafen eine Kurzeinführung für das Team gemacht und danach das öffentlich Training der deutschen Nationalmannschaft in Danzig moderiert bzw. als Dolmetscher für den Stadionsprecher fungiert. Wie hat Ihnen diese Erfahrung gefallen?
Steffen Möller: Für mich war das ein großer Moment. Die Polen haben mich bislang immer wahrgenommen als deutschen Kartoffelbauern Stefan Müller, diese Figur habe ich in der Fernsehserie „L, wie Liebe“ sechs Jahre lang gespielt. Heute war ich so „offiziell“, für mich war das eine ganz neue Erfahrung. Auch die Rolle als Stadionsprecher kannte ich nicht. Als Kabarettist hat man ja immer die Tendenz, Dinge zu ironisieren und nach einer Pointe zu suchen. Als Stadionsprecher muss man powern, muss die Leute zwei Stunden lang begeistern. Ich konnte mir da einiges bei meinem Kollegen Christian Stoll abgucken.
team.dfb.de: Zuvor haben Sie auf dem Flughafen in Frankfurt der deutschen Nationalmannschaft eine kleine Einweisung über Land und Leute gegeben. Wie war es, vor Philipp Lahm und Co. zu reden?
Möller: Lustig. Ich stand auf einem kleinen Hocker und blickte hinab auf lauter vermeintlich bekannte Gesichter. Man sieht die Spieler ja ständig im Fernsehen, das lässt einen glauben, man sei mit ihnen schon lange persönlich und gut bekannt. Fast hatte ich das Gefühl, als ob ich bei einer Familienfeier auftrete, wo meine Onkel und Tanten aus Düsseldorf gekommen sind. Ich war deswegen kein bisschen nervös. Für mich war es eine sehr schöne Erfahrung, vor dem Team und dem Betreuerstab sprechen zu können. Auch der Flug mit dem Team war für mich ein tolles Erlebnis.
team.dfb.de: Als die Mannschaft in Danzig gelandet ist, war schnell die Begeisterung der Polen zu spüren. Fans standen zu Hunderten an der Straße und haben der DFB-Auswahl zugejubelt und Fotos geschossen. Hat Sie das überrascht?
Möller: Nein, eigentlich nicht. Auch meine eigene Popularität in Polen verdanke ich einem Umstand, den ich den „deutschen Faktor“ nenne. Die Deutschen glauben immer, dass Sie wegen der Historie in Polen nicht gerne gesehen sind. Das stimmt aber nicht. Es gibt großes Interesse an Deutschland. Polen ist ja von allen EU-Ländern das mit den meisten Deutschlernern überhaupt. Und von den 13 Mannschaften, die während der EM in Polen wohnen, sind die Deutschen für die Polen vermutlich das interessanteste Team. Vielleicht nicht unbedingt das beliebteste, das sind wohl die Spanier, weil sich die Polen selbst eher als Leute mit südländischem Temperament empfinden. Aber insgeheim spüren sie natürlich, dass sie den Deutschen doch viel ähnlicher sind.
team.dfb.de: Welchen Anteil haben Miroslav Klose und Lukas Podolski an der Begeisterung, die der Nationalmannschaft in Polen entgegenschlägt?
Möller: Besonders gefreut habe ich mich über die Sprechchöre und die Gesänge, als Klose nach dem Ende des Trainings gestern noch Autogramme gegeben hat. Er war sehr geduldig, auch als der Rest des Teams schon längst im Bus war, hat er jeden Autogrammwunsch erfüllt. Am Schluss war noch eine Gruppe von 30 Halbstarken da, und sie alle haben ihn „Mirek“ gerufen, ein Zeichen dafür, dass sie ihn mögen und er in ihren Augen einer von ihnen ist. Ich glaube er hat sich sehr darüber gefreut, über seine Beziehung zu Polen ist ja viel Unsinn geschrieben worden.
team.dfb.de: Und Podolski ist für die Polen ohnehin ein Held.
Möller: Ja. Der Tag war natürlich auch für ihn sehr speziell. Zumal er Geburtstag hatte und die Fans im Stadion ihm ein Ständchen gesungen haben. Ganz generell gilt, dass man die Rolle der beiden nicht hoch genug einschätzen kann. Papst Benedikt, Podolski und Klose – die drei könnte man etwas überspitzt als die heilige deutsche Dreieinigkeit in Polen bezeichnen.
team.dfb.de: Welche Eigenarten verbinden Polen und Deutschland?
Möller: Die Polen grillen gerne, sie trinken gerne Bier, und Polen hat nach Deutschland in Europa die zweitmeisten Schrebergärten. Wie gesagt – von ihrer Mentalität her sind sie uns Deutschen wirklich sehr ähnlich. Uns unterscheidet lediglich der in Polen verbreitete fast fatalistische Pessimismus. Und ein etwas absurder Humor, der mir persönlich sehr gut gefällt.
team.dfb.de: Haben Sie für diesen Humor ein Beispiel?
Möller: Ja, meinen Klempner in Warschau. Auf seiner Visitenkarte steht sein Name, Piotr Szewczynski, und darunter sein Werbeslogan: Langsam, teuer, unsolide. Diese Karte gibt er seinen Kunden, und die rufen ihn massenweise an. Die Polen finden das witzig, in Deutschland wäre er wohl pleite.
team.dfb.de: Was ist noch typisch für Polen?
Möller: Polen ist ein Komplimente-Land. Einer Frau macht man hier Komplimente, das ist eine Gentleman-Pflicht. In Deutschland ist ein Kompliment doch entweder eine Schleimerei oder eine sexuelle Belästigung, oder? Und dann haben sie hier noch eine Kunst: das ist die Kunst des Wodka-Trinkens. Zwar ist der Wodka-Konsum um 70 Prozent zurückgegangen, aber bei polnischen Hochzeiten funktioniert er immer noch gut.
team.dfb.de: Zur EM werden viele Fans aus Deutschland nach Polen reisen. Haben Sie Verhaltenstipps. Wie sollten sich die Deutschen gegenüber den Polen geben?
Möller: Polnisch ist eine sehr schwere Sprache, aber wenn man zwei Worte kann und anwendet, dann sind die Leute hier schon begeistert. Diese Worte lauten „guten Tag“, „dzień dobry“. Das reicht, um schon mal einen guten Eindruck zu machen. In Frankreich wäre das doch nicht denkbar. Da muss der Besucher schon einen gewaltigen Wortschatz haben, wenn er einen Franzosen beeindrucken will.
team.dfb.de: Für wen drücken Sie Ihre Daumen, wenn Deutschland im Laufe des Turniers auf Polen treffen sollte?
Möller: In der ersten Halbzeit würde ich für Polen die Daumen drücken, in der zweiten für Deutschland. Mein Verstand befiehlt mir immer, den Polen zu wünschen, dass sie endlich einmal gewinnen. Aber ich bin eben doch in Deutschland, in Wuppertal sozialisiert worden. Gewisse Dinge kann man nicht ablegen. Ich bin zum Beispiel noch immer Fan der Wuppertaler Wurst. Und so werde ich auch immer Fan der deutschen Nationalmannschaft sein.
team.dfb.de: Wie groß ist in Polen die Vorfreude auf das Turnier?
Möller: Die Polen konnten es lange nicht glauben, dass dieses Turnier wirklich bei ihnen stattfinden soll. Sie dachten immer, dass irgendetwas dazwischen kommt und dass das Turnier in letzter Minuten doch nach Deutschland verlegt wird. Jetzt, wo es wirklich soweit ist, kennt die Freude keine Grenzen mehr. Der beliebteste Fan-Song hier wird von acht alten Omis gesungen und getanzt. Das Lied heißt, „Koko Euro Spoko“, das ist Nonsens, Kauderwelsch, kein Mensch weiß, was es eigentlich bedeuten soll. Diese Mütterchen singen diese Zeilen mit großer Inbrunst, sie sehen aus wie Nonnen – und die Nation liegt ihnen zu Füßen. Das zeigt den absurden Humor hier – aber auch die Begeisterung für die Euro.
sl