Interview über Warschau und Wuppertal

Du hast als Student einen Polnischkurs in Krakau besucht und bist dann in Polen geblieben. Kannst du kurz den Werdegang beschreiben?

Steffen: Ich war zuerst sieben Jahre lang Deutschlehrer, danach habe ich mit Kabarett auf Polnisch angefangen und geriet in eine beliebte polnische Telenovela, wo ich vier Jahre lang den deutschen Kartoffelbauern Stefan Müller gespielt habe, der Pech in der Liebe hat. Ich war in der Serie drei Mal verheiratet. Seit fünf Jahren bin ich jetzt wieder hauptsächlich Kabarettist, toure durch Deutschland und Polen. Heute erreichst du mich in Gliwice, der Podolski-Stadt, wo ich nachmittags einen Auftritt hatte.

War es nur ein kleiner Schritt von Deiner Tätigkeit als Sprecher für polnische Deutschbücher bis zum Kabarettist? (für uns klingt ja schon die Sprache allein witzig, ohne sie zu verstehen …)

Steffen: Für die Menschheit sicherlich nur ein kleiner, für mich aber ein sehr großer. Für mein erstes Kabarettprogramm, das ich 2001 in einem kleinen Krakauer Keller aufgeführt habe, musste ich zunächst mal 16 DIN A-4-Seiten Text auswendig lernen – alles auf Polnisch.

Du pendelst zwischen Berlin und Warschau. Woran musst du dich beim jeweiligen Ortswechsel immer wieder aufs Neue gewöhnen?

Steffen: Es ist verrückt, wie man sich unbewusst immer den jeweiligen Mentalitäten anpasst. In Berlin habe ich eine kleine Wohnung – gemietet. In Warschau habe ich eine Wohnung gekauft, denn in Polen wird generell am liebsten gekauft, so wie in England oder Norwegen. Wir Deutschen hingegen mieten manchmal jahrzehntelang und könnten noch nicht mal aus dem Stegreif den Quadratmeterpreis unserer Wohnung sagen. Das könnte jeder Pole sofort. Und noch eine Sache: In Warschau bin ich jahrelang kein Fahrrad gefahren, weil man es einfach nicht gemacht hat. Eigentlich seltsam, denn die Stadt ist genauso flach wie Berlin, aber die Gesellschaft war einfach noch nicht so weit. Fahrräder hatten kein Prestige. Das hat sich heute ein bisschen geändert. Inzwischen gibt es über 400 km Fahrradwege. Und der größte Mentalitätsunterschied überhaupt: wenn du als Fußgänger aus Versehen auf so einen Fahrradweg läufst, reagieren die Radler total ruhig. Kein Anschreien, kein Vogel-Zeigen, keine Kinnhaken. Als Pole ist man einfach gewöhnt, dass immer einer in die Quere läuft – ok, da macht man einen Bogen drum. Ganz entspannt. Herrlich.

Warum ist Warschau die unbekannteste Haupstadt Europas?

Steffen: Keine Ahnung, vielleicht weil wir Deutschen leider sowieso nur selten nach Osten gucken. Wir sind fasziniert von Paris, London oder New York. Aber keine Sorge – die Polen sind auch nicht besser. Kaum einer würde in Wilna oder Kiew Urlaub machen. Alle wollen nach Berlin, Paris, London…

Ohne zuviel vom Programm vorwegzunehmen: Was sind die schlimmsten NoGos für deutsche Urlauber?

Steffen: Erstens sollte man eventuelle Russischkenntnisse zu Hause lassen. Lieber Niederrheinisch als Russisch sprechen. Zweitens: keine Witze über DEN Papst – gemeint sind hier natürlich nicht die 262 Vorgänger oder zwei Nachfolger – über die kann man erzählen, was man will – , sondern DER Papst, also Johannes Paul II. Ja, und dann sollte man niemals behaupten, Frédéric Chopin sei Franzose gewesen – also dann schon lieber Russisch reden…

Wenn nicht an der Sprache, woran merken Deine Mitmenschen in Polen, dass du Deutscher bist?

Steffen: An meinem Verhalten. Typisch deutsch ist zum Beispiel, dass ich beim Aufzugfahren immer als erster aus der Tür renne. Ein Pole lässt allen übrigen Mitfahrern den Vortritt, nicht nur den Damen. Ein Deutscher ruft im Restaurant, wenn der Kellner kommt, sofort seine Bestellung: „Für mich das Kotelett!“ Ein Pole wartet höflich, bis alle Tischnachbarn zuerst bestellt haben…

Du hast das Bundesverdienstkreuz für dein Engagement um das deutsch-polnische Verhältnis bekommen. Was hatte der Pole für ein Bild von uns Deutschen, bevor Du es  zurechtgerückt hast?

Steffen: Er glaubte, Wuppertal sei eine unbedeutende Stadt im Ruhrgebiet. Jetzt weiß jeder Pole, dass Wuppertal, zusammen mit Berlin, Köln und Hamburg, zu den wichtigsten deutschen Metropolen gehört. Ich habe es im TV immer wieder erzählt. Auch der Elefant Tuffi ist jetzt vielen Leuten ein Begriff.

Du bist in Wuppertal aufgewachsen. Welches Verhältnis hast du heute zu der Stadt?

Steffen: Ein größenwahnsinniges. Ging das nicht aus der letzten Antwort hervor?

Von Wuppertal nach Warschau – beides Städte, die nicht gerade viel Glamour-Faktor haben, aber doch irgendwo unterschätzt werden, oder?

Steffen: Ja, wie gesagt: Es ist alles eine Frage des Marketings. Für Wuppertal habe ich schon viel getan, jetzt ist Warschau an der Reihe. Mit „Viva Warszawa“ wird die Stadt jetzt ganz sicher den Durchbruch in Deutschland erzielen…

Wir Deutschen lassen uns ja gerne von anderen unsere Eigenarten erklären – z.B. dem Franzosen Alfons oder dem Niederländer Philip Simon. Sind die Polen da ähnlich drauf oder waren sie erst mal skeptisch, als du dich erstmals auf die polnischen Kabarettbühnen gewagt hast?

Steffen:  Nein, sie waren nicht skeptisch, sondern haben sehr gestaunt, als ich den ersten grammatikalisch richtigen Satz über die Lippen gebracht habe. In Deutschland sind wir spätestens seit Rudi Carrell daran gewöhnt, dass viele Ausländer perfekt Deutsch können. In Polen gab es aber in dieser Hinsicht noch eine echte Marktlücke. Mir hat sogar mal ein polnischer Schauspieler gesagt, dass er erst an meinem deutschen Akzent gemerkt habe, dass alle polnischen Schauspieler der letzten vierzig Jahre diesen Akzent völlig falsch gespielt haben. Eigentlich müssten alle polnischen Kriegsfilme noch mal nachsynchronisiert werden.

Marek Fis macht derzeit als Ostblock-Latino von sich reden, die Familie Popolski inszeniert sich als vodkasaufende Dorfsippe – wissen die Polen eigentlich, welche Vorurteile hier herrschen, und welche Deutschland-Klischees gibt es dort? –

Steffen: Nein, das wissen sie nicht, aber keine Sorge, ich erzähle es ihnen. Und in Polen gibt es natürlich das Klischee vom Nazi. Ein Glück, dass es das gibt, denn sonst wäre ich arbeitslos.

Die Briten sind angeblich schwarzhumorig, der deutsche Humor ist laut Mark Twain gar nicht zum Lachen geeignet. Über wen oder was lachen die Polen gerne?

Steffen: Über sich selbst, über die Deutschen und über die Russen. Ein Beispiel: Ein Pole, ein Deutscher und ein Russe unterhalten sich über ihre Autos. Der Pole sagt: „Zur Arbeit fahre ich mit der Straßenbahn und ins Ausland mit dem Fiat 126!“ – Der Deutsche sagt: „Zur Arbeit fahre ich VW und ins Ausland Mercedes!“ Und der Russe: „Zur Arbeit fahre ich U-Bahn und ins Ausland mit dem Panzer.“

Du spielst regelmäßing in Polen als auch in Deutschland. Ist das das gleiche Programm, nur in der anderen Sprache, oder musst du auch die Show den jeweiligen Humorgewohnheiten anpassen?

Steffen: Nein, ich mache überall das Gleiche. Zum Leidwesen meiner polnischen Zuschauer vertrete ich nämlich die Ansicht, dass die Deutschen ebenfalls viel Humor haben. Zumindest abends, wenn auf ihrem Ticket „Kabarettveranstaltung“ draufsteht. Am hellichten Tag irgendwo im Straßenverkehr sieht es allerdings etwas schlechter aus.

Was sind die drei wichtigsten Vokabeln, die ein Deutscher in Polen beherrschen sollte?

Steffen: Die wird er in meiner Show lernen. Genau darum geht es ja. Man soll für sein Eintrittsgeld auch einen wirklichen Nutzen haben. Und wenn man alles befolgt, was ich rate, wird man zum TV-Star. Das garantiere ich.

Derzeit wird in  Comedykreisen viel diskutiert, über welche Dinge man generell Witze machen darf und ob man in Zeiten der Krise überhaupt lustig sein darf. Wie ist Deine Meinung dazu?

Steffen: Hm, ein bisschen kenne ich das. Ich mache seit Jahren Witze über den zweiten Weltkrieg. Eigentlich auch kein einfaches Thema, besonders in Polen, besonders bei Seniorenpublikum. Aber bisher ist es immer gut gegangen. Meine größte Sorge war immer nur, dass ich die Pointe auf Polnisch grammatikalisch sauber rüberbringe. Und dann freuen sich die Leute schon. Er ist zwar ein Idiot – aber er hat es korrekt gesagt… Grammatik! Das ist, wie gesagt – bei mir nicht die halbe, sondern die ganze Miete. Ob es in Düsseldorf auch reicht – werden wir sehen. Ich hoffe auf viele Polinnen und Polen im Publikum…